Alle verließen das Lokal außer Huxley. Huxley blieb sitzen, holte sein
Handy aus der Jackentasche und führte ein langes Telefongespräch.
Als die Teilnehmer zurück waren sagte Huxley: “Entschuldigen Sie
Vulko, aber wenn Sie erlauben, möchte ich noch einmal kurz auf die
Diskussion mit Hoyle zurück kommen. So einfach kann ich mich nicht
geschlagen geben, nur weil mir eben die passenden Argumente gegen
Hoyle fehlten.“
„In Ordnung!“ sagte Vulko. „Also Sie erhalten noch 20 weitere
Minuten.“
„Mein lieber Hoyle!“ begann Huxley. „Ich habe in der Pause ein
langes Telefongespräch mit meinem Kollegen Richard Dawkins
geführt, der offensichtlich einer Ihrer Antagonisten ist. Er hat mir ein
neues Argument geliefert, das er die kumulative Selektion nennt.“
„Ich kenne Dawkins und auch sein Buch "Der blinde Uhrmacher", in
dem er als erklärter Atheist mit Darwins Mechanismus jede Andeutung
von Intelligenz, die von jemand mit Gott in Zusammenhang gebracht
werden könnte, wegdiskutiert“, entgegnete Hoyle. „So greift er William
Paleys Argument auf, dass jeder, der eine Uhr findet, erkennen könne,
dass sie nicht durch Zufall geschaffen wurde, sondern einen Designer
oder Schöpfer haben müsse. Dann versucht er mit Hilfe einer
kumulativen Selektion zu erklären, dass diese Uhr sehrwohl durch
Zufall bzw. von einem blinden Uhrmacher gebaut worden sein
könnte.“
„Sehr gut!“ sagte Huxley. „Aber Dawkins erklärt mit Hilfe seiner
kumulativen Selektion, wie es ohne Intelligenz geht und dass der
Prozess überhaupt nicht die extrem hohe Anzahl von Alternativen
durchspielen muss, wie Sie sie eben für zufallsabhängige
Entwicklungen gefordert haben. Er greift sogar Ihr eigenes Beispiel auf,
das mit dem Affen, der genauso gut Shakespeares Werke geschrieben
haben könnte, wenn er zufällig in die Tasten gehauen hätte.“
„Irgendwann bin ich es leid, immer wieder falsch zitiert zu werden!“
ärgerte sich Hoyle. „Ob es sich um mein Zitat mit dem Affen und
Shakespears Werk handelt, oder um das noch bekanntere Zitat mit dem
Tornado, der ueber einen Schrottplatz mit Flugzeugteilen fegt und eine
funktionsfähige Boing 747 hinterlässt, so wird mir immer wieder
unterstellt, auch von Dawkins, ich wolle damit die Unmöglichkeit
beweisen, dass etwas durch Zufall entstanden sein könnte. Es sind aber
Beispiele fuer die enorme Komplexität von biologischen
Komponenten. Der Komplexitätsgrad einer einfachen Hefezelle ist
eben ungefähr der gleiche wie der einer Boing 747.“
„Das war nicht meine Absicht!“ entschuldigte sich Huxley. „Aber
lassen Sie uns damit fortsetzen, wie Dawkins anhand Ihres Beispiels
den Effekt der kumulativen Selektion darstellt.
Dawkins erklärt es mit einem Satz den Shakespeares Hamlet spricht:
METHINKS IT IS LIKE A WEASEL. Ja, ja Sie lachen. Ich weiß
selbst, das klingt eher wie Jar Jar Binks, aber Dawkins versichert, es ist
Hamlet. Ausserdem ist es für die Erklärung völlig unerheblich, von
wem es kommt. Er beschreibt einen Algorithmus aus seinem
Computer, der zufällig an allen Positionen eines von 27 möglichen
Zeichen, also Buchstaben plus Leerzeichen, wählt. Bei 28 Positionen
würde der Affe mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 28hoch27
also ungefähr eins zu 10hoch39 den Text produzieren können. Wie
wir gelernt haben, schafft er das nie im Leben, da die Anzahl der
dafür erforderlichen Versuche zu hoch ist.
Dawkins Programm läuft in einer Schleife und vergleicht die zufällig
gewählten Buchstaben mit dem gewünschten Shakespeare Zitat. Die
richtigen behält es, die anderen werden in der Schleife variiert. Nach
reichlich 40 Versuchen ist er bereits am Ziel. Das nennt er dann
kumulative Selektion, und er traut dem Affen die Geduld zu, 40
Versuche zu machen.“
„Dieses Argument imponiert mir überhaupt nicht!“ wehrte Hoyle ab.
„Zunächst einmal verwendet er auch Intelligenz, nämlich seine eigene,
die er in das Programm eingebracht hat, um die zufälligen Buchstaben
mit dem gewünschten Resultat zu vergleichen. Das Programm selbst
ist dumm aber es hat einen intelligenten Designer.
Aber wie funktioniert kumulative Selektion? Das Endprodukt einer
Entwicklung wird in einer Serie kumulativer Schritte aufgebaut, in der
jeder einzelne Schritt vom Zufall abhängt. Hierbei gelten natürlich
andere Spielregeln, als wenn ich das Ergebnis in einem Schritt zufällig
erhalten will. Wenn ich mit drei Würfeln in einem Wurf drei Sechsen
würfeln soll, ist es offensichtlich, dass meine Chancen 1 zu 216 stehen,
während ich mit 1 zu 11 auskomme, wenn ich jede geworfene Sechs
auf dem Tisch liegen lassen darf und nur noch mit den restlichen
Würfeln weiterspiele. Nun wird allerdings in Wirklichkeit auch der
Würfel bzw. die Komponente, die wir behalten wollen, durch den
Zufall beeinflusst. Damit muss dann auch der Würfel der bereits eine
Sechs hat, wieder in den Becher wandern und kann zum Schlechteren
mutiert werden. Dawkins geht dann einfach davon aus, dass durch
Reproduktion ausreichend Kopien vom Status Quo vorhanden sind,
mit denen er weitermachen kann, und er verfolgt dann nur die eine
Spur mit den Mutationen, die er haben will.
Naja, wir haben ja im Prinzip das gleiche getan, als wir mit den Rubik
Würfeln experimentiert haben. Allerdings waren wir besser als
Dawkins und hatten dabei noch weitere Faktoren erkannt, wie den
Effekt von Bevorzugung positiver Mutationen bei der Reproduktion,
den verfuegbaren Lebensraum, sowie das Verhältnis von Mutations und
Todesrate, die den Prozess zusätzlich beeinflussten.
Aber kurz und gut, kumulative Selektion, wie Dawkins es nennt, ist
natuerlich Bestandteil der Evolution von Lebewesen.
Wenn Dawkins allerdings den intelligenten Designer fuer sein
Programm und die Ausrichtung auf ein Ziel leugnet, hat er sich selbst
ein Problem geschaffen, das ich nicht habe. Dann darf er nämlich den
Satz: „METHINKS IT IS LIKE A WEASEL“ gar nicht in seinem
Program als Vergleich verwenden. Sein Programm muss ohne diesen
Masstab auskommen. Damit muss er dann möglicherweise alle
Alternativen durchspielen, um das gewuenschte Resultat zu erhalten.
Bei allen Alternativen landet er natürlich im Schnitt wieder auf der
gleichen Anzahl Versuche, wie wenn er das Resultat in einem
einzigen Schritt erzielen möchte.
Um bei dem Beispiel mit den Würfeln zu bleiben:
Ich gebe Dawkins die Aufgabe drei Dreien zu würfeln. Ich verrate ihm
aber nicht, welches Ergebnis ich von ihm erwarte, sondern schreibe es
auf und lege es verdeckt auf den Tisch. Damit liegt seine Chance dann
wieder bei 1 zu 216 statt bei 1 zu 11, bis ich ihm mitteilen kann, dass
er das richtige Ergebnis hat.
Dawkins ist dem Trugschluss aufgesessen, dass diese Art von
kumulativer Selektion auch eine nicht auf ein Ziel gerichtete Evolution
in gleichem Maße beschleunigt. Dabei bleibt ohne Zielrichtung fuer die kumulativen Selektion als treibende Kraft nur ein Vorteil bei der Reproduktion fuer beliebige positive Mutationen, wie Darwin es fordert und unser Experiment es deutlich gezeigt hat. Mit wachsender Anzahl positiver Mutatonen steigt jedoch die Chanche fuer eine negative Mutation, sodass der Prozess sich dann verlangsamt oder sogar zum Stillstand kommt. Eine negative Rueckkopplung, wie wir sie diskutiert haben, macht Dawkins in komplexeren Fällen als seinem Weasel einen Strich durch seine Rechnung. Dann reicht kumulative Selektion allein nicht mehr aus sondern es sind weitere Faktoren wie Intelligenz oder die Änderung der Spielregeln erforderlich!“
„Also gut Hoyle!“ meinte Huxley. „Wenn ich Sie recht verstanden
habe, so meinen Sie Folgendes: Der Affe kann Shakesspeares Werk
erst schreiben, nachdem Shakespeare es verfasst hat, damit Dawkins
ein Programm schreiben kann, dass den Affen oder seinen Computer
zielgerichtet durch kumulative Selektion zum Ziel bringt. Hierbei sind
Shakespeares und Dawkins Intelligenz gefordert.“
„Aber da gibt es noch einen Punkt, der gegen die Anwendung der
kumulativen Selektion spricht.“ meinte Hoyle. „Sie suchten doch nach
einem Argument, um meine Wahrscheinlichkeitsrechnung bezueglich
der Entstehung von Enzymen als abiotischen Prozess in der Ursuppe
zu widerlegen. Wie Sie aber bei der kumulativen Selektion sehen
konnten, ist es eine unabdingbare Voraussetzung, dass eine
Reproduktion stattfindet, um die schädlichen Mutationen zu
kompensieren. In unserem Beispiel haben wir es aber gar nicht mit
einem biologischen Prozess zu tun, sondern es handelt sich um
Aminosäureketten und nicht um Lebewesen. Eine Reproduktion von
Aminosäureketten ist uns aber nur bei Lebewesen bekannt. Unser
Beispiel ging aber von einer Situation vor Entstehung des Lebens aus.“
„Okay, Vulko!“ sagte Huxley. „Die zwanzig Minuten sind vorbei.
Dawkins hat mich nicht retten können. Ich überlasse Ihnen das Wort.“
Lesen Sie weiter im Buch, denn dann können Sie die Argumente auch vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussion verstehen.